Anamnese
Michael Ronner
Michael Ronner Experte für Technik & Hörakustik

« Zurück zur Blog-Übersicht

Bei der Anamnese klärt der Mediziner resp. Hörgeräteakustiker einige Fragen mit dem neuen Patienten. Zum einen um diesen kennenzulernen und zum anderen, um die Krankheitsgeschichte, welche mit den Ohren zu tun hat zu erforschen. Die Fragen beziehen sich also nicht nur auf die Ohren, sondern auch auf den typischen Alltag des Kunden und Therapeuten benutzen die Methode der Anamnese, um ihre Klienten einschätzen zu können und auf Basis der erhobenen Daten passgenaue Behandlungen, Therapien oder Vorgehensweisen zu entwickeln.

Anamnese stammt vom griechischen Wort "anamnesis" und bedeutet soviel wie Erinnerung oder Erhebung. Bei der Anamnese werden also Daten von einer Person erhoben, die diese aus ihrer Erinnerung abruft. Ein Anamneseverfahren wird häufig im medizinischen Bereich angewendet. Aber auch Psychologen, Pädagogen und Therapeuten benutzen die Methode der Anamnese, um ihre Klienten einschätzen zu können und auf Basis der erhobenen Daten passgenaue Behandlungen, Therapien oder Vorgehensweisen zu entwickeln.

 

Welche Formen der Befragung gibt es?

Es gibt verschiedene Teilbereiche der Anamnese, die in einem Gespräch abgefragt werden können. Entscheidend dabei, ob ein Themenbereich erfragt wird, ist immer, ob dieser relevant für die Behandlung ist. So werden Vorerkrankungen bei den meisten medizinischen Untersuchungen eine Rolle spielen, jedoch ist die Familiensituation für manche Befunde wahrscheinlich nicht entscheidend. Folgende Formen der Anamnese werden unterschieden:

Aktuelle Anamnese:
Bei der aktuellen Anamnese werden die akuten Beschwerden und der Grund für den Arztbesuch erfragt. Dabei möchte der Arzt herausfinden, wo, seit wann, wie oft und durch welchen Auslöser beispielsweise ein Schmerz oder ein Symptom auftritt. Ausserdem könnte er auch fragen, was den Schmerz erleichtert oder verschlimmert und, ob bereits Massnahmen zur Behandlung ergriffen wurden. Eine Anamnese muss aber nicht nur bei einem Arzt erfolgen, sondern wird z.B. auch bei einem Hörakustiker oder Optiker durchgeführt.

Vorgeschichte:
Bei der Abfrage der Vorgeschichte erkundigt sich Arzt nach Vorerkrankungen oder Ereignissen welche zur Konsultation führte. Wichtig ist auch, ob es bereits Operationen gegeben hat. Für jede Behandlung sollten eventuelle Allergien und Unverträglichkeiten abgeklärt werden, damit bei Medikamenten- oder Pflegemittelanwendungen keine Komplikationen entstehen. Oft wird auch der Impfstatus des Patienten überprüft, was besonders im Hinblick auf die Tetanusimpfung, also die Impfung gegen Wundstarrkrampf relevant ist. Sollte der Patient bereits regelmässig Medikamente einnehmen, wird der Medikamentenplan vom Arzt gefordert werden. Bei einem Hörverlust zum Beispiel wird auch ermittelt, ob dieser unter Umständen durch die Arbeit in lauter Umgebung entstanden ist. Denn hier geht es auch um die finanzielle Unterstützung oder Übernahme der Leistungen von Versicherungen wie z.B. der SUVA (Unfallversicherung), den Krankenkassen, der IV (Invalidenversicherung) oder der AHV (Alters- und Hinterlassenenversicherung).

Vegetative Anamnese:
Hier versucht der Arzt mehr über den Zustand des vegetativen Systems herauszufinden. Er erfragt Details über den Stuhlgang, die Nahrungsaufnahme, Körpertemperatur, Puls und Blutdruck, Atmung, Schwindel, Schlaf und gegebenenfalls Sexualität.

Gynäkologische Anamnese:
An dieser Stelle werden Informationen zu vorausgegangenen Schwangerschaften, zur Menstruation oder zur Menarche dokumentiert. Auch diese können wichtig für den Verlauf einer Behandlung sein.

Genussmittel- und Suchtanamnese:
Wichtig für die Erfassung der Krankengeschichte ist natürlich, ob der Patient Alkohol, Nikotin oder andere Drogen konsumiert. Darüber hinaus kann auch ein hoher Konsum von Koffein Einfluss nehmen auf die geplante Behandlung. Aber auch übermässige Einnahmen von Medikamenten wie Blutverdünner können aud Schädigungen schliessen, wie z.B. eine Beschädigung am Innenohr.

Familien- und Sozialanamnese:
Anlässe für eine Familien- oder Sozialanamnese bieten häufig der pädagogische oder psychologische Kontext. Hier kann es sinnvoll sein, die familiäre Situation zu beleuchten und psychotherapeutisch relevante Vorerkrankungen innerhalb der Familie festzustellen. Darüber hinaus zählen zu dieser Anamneseform aber auch das Eruieren der körperlichen Aktivität oder des Berufs eines Patienten.

 

Was bedeuten Eigen- und Fremdanamnese?

Anamnese

Eigenanamnese
Unter Eigenanamnese versteht man, dass der behandelte Arzt oder Hörgeräteaktustiker den Patienten selbst zu seiner Vorgeschichte befragt und ihn untersucht. In der Regel wird immer zunächst eine Eigenanamnese durchgeführt, bevor man die Fremdanamnese ergänzend in Betracht zieht. In Ausnahmefällen ist eine Eigenanamnese aber nicht oder nur eingeschränkt möglich. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn der Patient nicht ansprechbar ist, unter kognitiven Einschränkungen leidet oder, wenn es sich bei dem Patienten um ein Kleinkind handelt, das noch nicht für sich selbst sprechen kann. Bei der Eigenanamnese führt der Arzt eine Befragung mittels Fragebogen oder vorgefertigtem Schema durch. Der Fragebogen kann dem Patienten auch selbst zum Ausfüllen vorgelegt werden. Ausserdem folgt der Eigenanamnese in aller Regel noch eine körperliche Untersuchung. Normalerweise ist diese Form der Datenerhebung am zuverlässigsten, es sei denn, der Patient kann oder will keine wahrheitsgemässen Aussagen zu den Fragen treffen. In einem solchen Fall kann die Fremdanamnese sinnvoll sein.

Fremdanamnese
Unter einer Fremdanamnese wird, wie bereits angedeutet, die Befragung Dritter über einen Patienten verstanden. Hierbei kann es sich um enge Familienangehörige handeln, die den Betroffenen gut kennen, aber auch um Lebenspartner oder gute Freunde. Zu einer Fremdanamnese kommt es häufig, wenn der Patient aktuell nicht ansprechbar ist oder nicht fähig ist, verlässliche Aussagen zu treffen. Dies kann der Fall sein, wenn er unter Drogen- oder Alkoholeinfluss steht, einen schweren Unfall hatte oder eine geistige Behinderung hat. Bei der Fremdanamnese werden die Bekannten des Betroffenen beispielsweise zum Unfallhergang, zur Verhaltensweise, zur Ernährung oder zu möglichen Auslösern einer Erkrankung befragt. Die Interpretation solcher Aussagen ist jedoch immer mit Vorsicht zu geniessen. Man sollte sich dessen bewusst sein, dass Dritte nie das tatsächliche Erleben eines Patienten abbilden können. Dennoch kann in vielen Fällen nicht auf eine Fremdanamnese verzichtet werden. Zusätzlich kann diese auch ergänzend zur Eigenanamnese eingesetzt werden, beispielsweise, um die Aussagen des Patienten zu überprüfen oder fehlende Inhalte hinzuzufügen.

 

ABCDE-Schema

Das ABCDE-Schema ist eines der bekanntesten Vorgehensweisen beim Thema Anamnese. Dieses Schema, das ursprünglich aus dem Rettungsdienst stammt, wurde für viele Bereiche adaptiert und abgewandelt, sodass die darin enthaltenen Fragestellungen auch andere Fachbereiche abdecken können. Hier wird kurz das Schema aus dem Rettungsdienst vorgestellt.

A:Airway (Atemwege) - Als allererster Schritt werden zunächst die Atemwege eines Patienten kontrolliert. Dabei wird überprüft, ob diese frei sind oder beispielsweise durch einen Gegenstand oder eine Schwellung blockiert werden.
B:Breathing (Belüftung) - Anschliessend wird die Qualität der Atmung überprüft. Atmet der Patient flach, schnell, unregelmässig, tief oder normal und gleichmässig? Dies kann auch mittels eines Stethoskops festgestellt werden.
C:Circulation (Kreislauf) - In diesem Schritt wird der Kreislauf des Patienten unter die Lupe genommen. Wie ist die Haut- und Gesichtsfarbe? Gibt es äusserliche Auffälligkeiten. Ist der Patient bewusstlos oder sitzt er aufrecht? Gibt es erkennbare Blutverluste? Solche Fragen muss sich der Rettungsdienst an dieser Stelle stellen.
D:Disability (neurologische Auffälligkeiten) - Hier gilt es, neurologische Erkrankungen oder Vorfälle zu identifizieren. Dafür kann die Pupillenreaktion eines Patienten gemessen werden, die Bewusstseinslage überprüft werden oder der Verdacht auf eine Vergiftung oder andere Stoffwechselbeeinträchtigung geäussert werden.
E:Exposure (Enthüllung) - Zuletzt wird der Patient entkleidet, sodass er auf weitere Verletzungen untersucht werden kann.

 

Wie erfolgt die Anamnese bei HNO-Spezialisten?

Die Anamnese beim HNO Arzt unterscheidet sich nicht grundlegend von den bisher beschriebenen Massnahmen. Hier wird besonders dem Hals-Nasen-Ohren-Bereich Aufmerksamkeit geschenkt. Der Arzt wird sich mit der Geräuschbelastung des Patienten, seiner Ernährung und seiner Vorgeschichte befassen. Anschliessend wird er eine körperliche Untersuchung des Mund- und Rachenraums, der Ohren und der Nase durchführen, wenn sich herausstellt, dass dies nötig ist. Wenn eine Hörbeeinträchtigung vorliegt, kann auch ein Hörtest angeordnet werden. Sollte der Patient bereits über Hörgeräte verfügen, können diese ebenfalls mittels Hörtest überprüft werden.

 

Was erfragt der Arzt bei der Anamnese?

Der behandelnde Arzt wird bei seiner Befragung vielleicht nach dem sogenannten SAMPLER-Schema vorgehen. Da es sich bei einer Vorstellung beim HNO-Arzt meist nicht um einen akuten Unfall handelt, wird die Anamnese nach dem ABCDE-Schema, die bereits vorgestellt wurde, hier abgewandelt. Diese Fragen könnte der HNO-Arzt fragen:

  • Symptome: Der Arzt wird genau nach den Beschwerden fragen, wann diese genau aufgetreten sind, ob sie dauerhaft sind und wie sie sich anfühlen. Bei einem Hörschaden ist auch das auslösende Ereignis von Bedeutung.
  • Allergien: Wenn es zu einer Behandlung kommen sollte, muss der Arzt vorher abklären, ob Allergien vorliegen.
  • Medikamente: Auch die bereits verschriebenen Medikamente müssen erfragt werden.
  • Past Patient History: Hier spielen vorangegeganene Behandlungen eine Rolle.
  • Last oral intake: Der Zeitpunkt der letzten Nahrungsaufnahme ist für Behandlungen, aber auch für die Herleitung einer Symptomatik wichtig.
  • Events prior to incident: Welche Auslöser könnten für die Beschwerden ausschlaggebend sein?
  • Risc factors: Hier werden Faktoren erfragt, die Krankheiten bedingen könnten. Dazu zählt der Konsum von Genussmitteln oder Vorerkrankungen, wie beispielsweise, dass ein Familienmitglied bereits Hörgeräte trägt.